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Ist der ''Taliban von Bremen'' eine Erfindung?

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Nach drei Jahren durfte ein Anwalt zum erstenmal den Gefangenen Murat Kurnaz in Guantánamo besuchen. Zwischendurch mussten sie vor lauter Verzweiflung sogar lachen, erzählt der New Yorker Anwalt Baher Azmy. "Es sah absurd aus, wie Murat Kurnaz dasaß, die Füße gefesselt, an den Boden gekettet, und lachte" - mitten in Guantánamo, der Haftanstalt für Taliban, Terroristen und solche, die es sein könnten.

Der Jurist Baher Azmy besuchte diese Woche die amerikanische Marinebasis Guantánamo Bay auf Kuba. 20 Stunden lang sprach er dort mit dem in Bremen aufgewachsenen Türken Murat Kurnaz. Ihm wird vorgeworfen, mit Al Qaida in Verbindung zu stehen. Angeblich soll er versucht haben, im Afghanistan-Krieg gegen die USA zu kämpfen.

Für das Gespräch wurde der 22jährige aus seinem Stahlcontainer im Camp Delta in ein Zimmer im abgelegenen Camp Echo gebracht und in einen weißen Anzug gesteckt - die weiße Farbe signalisiert Kooperationswillen.

"Gemessen an den brutalen Haftbedingungen geht es ihm gut", berichtet Azmy. "Murat hat sich sehr gefreut, daß ich ihm Kaffee mit viel Zucker von McDonald's mitgebracht habe." Azmy, Professor an der Seton Hall University in New Jersey, darf nur über manches reden, was er in Guantánamo beobachtet hat. Etwa darüber, daß die meisten Häftlinge täglich nur 15 Minuten Ausgang bekommen und die restlichen 23 Stunden und 45 Minuten allein in ihrer Metallkabine hocken, von einer Videokamera überwacht. Kurnaz wird dort vollständig von Informationen aus der Außenwelt abgeschottet. "Murat", sagt Baher Azmy, "hat nicht einmal vom Irak-Krieg gewußt."

Seit zweieinhalb Jahren durfte er weder an seine türkische Frau in Istanbul noch an seine Familie in Bremen einen Brief schreiben.

Schweigen muß Azmy zu den Verhörmethoden der US-Armee und über Kurnaz' Antwort auf die Frage, ob er gefoltert wurde. Diese Vermutungen stehen im Raum, seit die "New York Times" vor einer Woche berichtete, zahlreiche Häftlinge in Guantánamo seien mißhandelt worden.

Azmy muß seinen Bericht über sämtliche Aussagen seines Mandanten geheimhalten, bis das Pentagon diese Informationen freigibt. Selbst Bernhard Docke, dem deutschen Vertreter im Anwaltsteam von Murat Kurnaz, durfte Azmy nicht alles erzählen. Docke besuchte diese Woche seinen US-Kollegen in New Jersey.

Warum die Amerikaner in Murat Kurnaz einen terroristischen Staatsfeind sehen, wurde dem deutsch-amerikanischen Anwaltsduo erst Anfang dieser Woche mitgeteilt. Da erst bekam Docke Auszüge der Vernehmungsakte vom US-Verteidigungsministerium zugeschickt - knapp drei Jahre nachdem der Verdächtigte in Guantánamo eingeliefert wurde. Die US-Regierung behauptet, Kurnaz habe in diversen Moscheen Pakistans seine Kontakte zu Al Qaida vertieft. Geknüpft habe er diese bereits in Bremen. Denn: Kurnaz war befreundet mit dem Bremer Selcuk B., der laut Vernehmungsakte ein Selbstmordattentat verübt haben soll. "In Wirklichkeit hält sich diese Person aber in Bremen auf und erfreut sich bester Gesundheit", sagt Anwalt Bernhard Docke.

Unbestreitbar sei nur folgendes: Am 3. Oktober 2001 wollte der damals 19jährige Kurnaz mit seinem Freund Selcuk B. nach Pakistan reisen. Bundesgrenzschützer verweigerten Selcuk B. am Frankfurter Flughafen die Ausreise - wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe (nachdem sein Kampfhund einen Passanten angegriffen hatte). Die Beamten riefen seine Eltern an, die erleichtert waren, daß ihr Sohn nicht ausreisen durfte, da er angekündigt hatte, in Afghanistan gegen die Amerikaner kämpfen zu wollen.

Also flog Murat Kurnaz allein, um, wie er betonte, für einige Wochen Koranschulen in Pakistan zu besuchen - zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, schließlich stand der Afghanistan-Krieg unmittelbar bevor. Vier Tage nach seinem Abflug fielen die ersten Bomben in Afghanistan. Dort ist Kurnaz aber nie gewesen. Im November wurde er nahe Peshawar im pakistanischen Grenzgebiet verhaftet. Er fiel der Polizei in einem Überlandbus auf. "Wohl wegen meines irischen Aussehens", gab Kurnaz zu Protokoll. Der Türke hat blaue Augen und einen roten Bart. Die pakistanische Polizei brachte ihn zurück zum Flughafen. Dort wurde er an amerikanische Sicherheitsbedienstete übergeben - gegen Geld, wie Docke vermutet. Denn der Handel mit allem, was sich als Terrorist oder Taliban bezeichnen ließ, habe damals in Pakistan floriert.

Im Januar 2002 wurde Kurnaz in Guantánamo inhaftiert und als feindlicher Kämpfer eingestuft. "Obwohl in der Vernehmungsakte steht, daß Kurnaz' Aussagen in weiten Teilen als glaubwürdig eingestuft wurden", berichtet Docke.

Der Anwalt ist überzeugt, die Amerikaner könnten ihre Verdächtigungen nicht beweisen. "Die Vorwürfe gegen meinen Mandanten", sagt er, "sind vage bis absurd. Von einem Bremer Taliban kann keine Rede sein." Deshalb will Docke vor dem Federal District Court in Washington baldmöglichst auf Kurnaz' Freilassung dringen.

In etwa zwei Wochen, meint er, werde der vollständige Bericht seines Kollegen Baher Azmy veröffentlicht. "Vor der Wahl wird das nicht mehr passieren, man muß damit rechnen, daß die Ergebnisse für die jetzige Regierung beschämend sind", sagt Docke. Dieser Bericht werde die Freilassung seines Mandanten sicher beschleunigen. Über einen Termin will er aber nicht spekulieren. "Ich wage keine Mutmaßungen mehr", sagt der Anwalt. "Vor zwei Jahren habe ich noch in Monaten gerechnet." Azmy dagegen hält es für möglich, daß Kurnaz noch 2004 freikommt. Ob er dann aber zu seinen Eltern und drei Geschwistern nach Bremen darf, ist nicht sicher. Bremens Innensenator Thomas Röwekamp hält Kurnaz' Aufenthaltserlaubnis für erloschen, weil er Deutschland länger als sechs Monate verlassen hat. Doch da ist Bernhard Docke ausnahmsweise optimistisch: "Ich glaube, dem Senator überzeugend darlegen zu können, warum Kurnaz nicht bei der Bremer Ausländerbehörde anrufen konnte."

Quelle: WeltamSonntag



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