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Vollstreckung ''Erst zahlen, wenn's brennt''

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Wirtschaftsflaute? Nicht bei Zwangsvollstreckungen: Bußgelder, Wasser, Rundfunk, Abfallgebühren - querbeet werden Abgaben verweigert. Und der Arbeitsalltag der Vollstrecker wird immer rauer.

Wenn Michael Wagner zu Besuch kommt, flippen viele Leute aus. Manche werden hysterisch. Andere knallen Türen, werfen Tassen, brüllen herum. Der Grund: Wagner will Geld. Rund 2.500 mal im Jahr macht sich der Pfandmeister auf den Weg, um im Landkreis Darmstadt-Dieburg für öffentlich-rechtliche Gläubiger Geld einzutreiben. Mit 19.000 Vollstreckungsaufträgen allein im vergangenen Jahr hält die Region hessenweit einen traurigen Rekord: In keinem anderen der 21 Kreise wird so unwillig gezahlt wie hier.



Bürger verweigern Abgaben
Bußgelder, Wasser, Rundfunk, Abfallgebühren - "quer durch den Garten" verweigerten die Bürger ihre Abgaben, sagt der Leiter der zuständigen Vollstreckungsbehörde in Darmstadt, Herbert Glock. Gewerbe-, Jagd- und Hundesteuer, selbst die Schornsteinfegerrechnung werde immer seltener beglichen. Mehr als acht Millionen Euro wurden in seinem Landkreis im vergangenen Jahr verspätet oder gar nicht bezahlt.

An der Moral der Schuldner liegt das nach Glocks Einschätzung aber nicht: "Die Leute haben einfach nichts Flüssiges mehr, um die Rechnungen zu begleichen." Es gebe schlicht immer mehr Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, und deswegen auch mehr Pfändungen. Doch Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger gibt es auch in anderen Landkreisen - meistens sogar mehr als in Dieburg und Umgebung. So richtig kann deshalb auch der Amtsleiter nicht erklären, warum gerade in seiner Region mehr Menschen die Zahlung verweigern als anderswo.

Auch Besserverdiener zahlen nicht
Doch es gibt Hinweise: Immer öfter muss Pfandmeister Wagner auch traditionell "gut Situierten" wie Ärzten oder Rechtsanwälten einen Besuch abstatten. In den vergangenen drei Jahren habe sich die Zahl der vermeintlich Besserverdienenden unter den Schuldnern von weniger als zehn auf rund 200 pro Jahr verzwanzigfacht, schätzt Glock. Wagner stimmt zu: Während es früher nur sozial Schwache gewesen seien, stammten die Schuldner jetzt aus allen Gesellschaftsschichten. "Wir stehen bei dem Arzt genauso vor der Tür wie bei dem Sozialhilfeempfänger", sagt er.

Zwar gebe es auch solche, die einfach nicht zahlen wollten. "Doch wir haben viele Ärzte und Rechtsanwälte, die wirklich kein Geld mehr haben." Gespart werde dann zuerst bei den Mitgliedsbeiträgen der Kammern und Innungen. "Das sind Zwangsbeiträge, ähnlich wie bei der GEZ", sagt Wagner. "Die werden nie gern bezahlt, weil da die wenigsten den Sinn drin sehen."
 
Vogel-Strauß-Politik
Wenn die Feuerwehr das Schloss aufgebohrt hat und Wagner in der Tür steht, ist es für Erklärungen jedoch zu spät - durch den Besuch entstehen schnell zusätzliche Gebühren von 50 bis 100 Euro. "Immer mehr Leute verfolgen eine Vogel-Strauß-Politik - die zahlen erst, wenn's wirklich brennt", sagt er. Doch selbst dann kommt das Geld meist nur in Raten.

Dass es der finanzielle Absturz der Mittel- und Oberschicht ist, der die Zahl der Vollstreckungsaufträge in die Höhe treibt, ist eine Möglichkeit. "Beweisfähige Unterlagen" gäbe es dafür aber nicht, betont Glock. Doch auch der Leiter der Dieburger Schuldnerberatungsstelle Wolfgang Keller räumt ein, dass der Anteil der Akademiker unter den Zahlungsunfähigen zunimmt: "Die Schuldenfalle macht vor niemandem halt."

Frust der Zahlungsunwilligen wird schlimmer
Sicher ist: Die Resignation, die Hoffnungslosigkeit, aber auch die Aggressionen unter den Betroffenen steigt. Den Frust der Zahlungsunwilligen bekomme vor allem er ab, erzählt Wagner - und befürchtet, dass es noch schlimmer wird. "Wir haben ganz, ganz große Bedenken wegen der Hartz-IV-Geschichte", sagt er. "Da wird eine Welle auf uns zukommen." Die bundesweit schwache Entwicklung der Wirtschaft käme noch dazu: "Firmen schließen, und das führt bei den Menschen zur Katastrophe."

Das ist nicht nur in Dieburg so. Doch hier muss der Pfandmeister auch in Zukunft klingeln. Schon jetzt liegen seiner Behörde für 2004 unbezahlte Rechnungen über 4,4 Millionen Euro vor. Von Januar bis Juli gingen rund 10.300 Vollstreckungsaufträge ein. Zumindest Wagners finanzielle Zukunft scheint deshalb gesichert: "Arbeitslos werden wir nie."
 
Quelle: www.stern.de   geschrieben von Nils Weisensee, AP


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